Der Herbst naht und damit auch die Herbststürme. Nicht nur bei uns an Land wird es dann oft ungemütlich. Auf dem offenen Meer geraten immer wieder Schiffe und Boote in Seenot und bedürfen Hilfe. Das ist schon seit Beginn der Seefahrt so, aber nicht immer wurde auch geholfen …
Strandrecht oder Menschlichkeit?
Denn wenn es früher ordentlich stürmte, betete so mancher „Gott schütze unseren Strand“. Warum den Strand? Von alters her beriefen sich Anwohner der Meere auf ihr „Strandrecht“, das besagte, dass alles, was am Strand angeschwemmt wurde, dem Finder gehört. Die oft bettelarme Bevölkerung vor allem auf den Inseln in der Nord- und Ostsee waren angewiesen auf die „Spenden“, denn das Leben war hart. Fischerei und Schifffahrt warfen nur wenig ab. Bau- und Brennmaterial und alles, was sich verspeisen oder verkaufen ließ, war wertvoll. Also warteten viele Inselbewohner regelrecht darauf, dass ein Schiff vor ihrer Küste havarierte und manchmal halfen sie auch nach …
Falsch gesetzte Leuchtfeuer und -signale führten Schiffe in die Irre und mitunter ins Verderben. Auch, wenn einige Besatzungsmitglieder die eigentliche Havarie überlebten, geholfen wurde ihnen in der Regel nicht. Nach altem Seerecht gehörten Schiff und Güter so lange dem Reeder, wie sich noch jemand Lebendiges an Bord befand. Erst nachdem sicher war, dass niemand überlebt hat, durften die Güter und Schiffsteile „geborgen“ werden. Also wartete man oder half sogar selbst nach. So manch ein unglücklicher Seemann ließ nicht auf See, sondern am vermeintlich sicheren Strand sein Leben, an dem er von Inselbewohnern „empfangen“ wurde. Denn das eigene Überleben stand im Vordergrund.
Die ersten Rettungstationen
1850 wurden erste Rettungsstationen, nach britischem Vorbild, an der Ostseeküste und auf Rügen errichtet. Allerdings wohl auch eher aus Geld- als aus humanitären Gründen. Die von der preußischen Regierung für die Rettung eingesetzten Lotsen hielten sich bei den eigentlichen Rettungen eher „vornehm“ zurück. (Sie wollten schließlich nicht ihr eigenes Leben riskieren.) Aber sie waren bei Bergungen am Strand mit die ersten, die da waren. Ein durchaus einträgliches Geschäft für den Staat. Denn ein Anteil an der gestrandeten Ware stand der jeweiligen Regierung zu.
Die Errichtung von Seenotrettungsstationen an der Nordsee blieb lange Zeit erfolglos. Die Anwohner ließen sich einfach nicht von deren Notwendigkeit überzeugen. Einige Schiffsunglücke brachten die Menschen aber zum Umdenken. Zum einen strandete 1854 im November das Auswandererschiff „Johanna“ vor Spiekeroog. 77 Tote gab es zu beklagen. Darunter 18 Kinder und sieben Säuglinge. Augenzeugen berichteten, das Wasser rings um die Unglücksstelle sei vom Blut gefärbt gewesen. Hilflos mussten die Anwohner der Insel zusehen, wie das tosende Meer zum Grab vieler unschuldiger Menschen wurde. Ein emotionales Erlebnis, das bei vielen Augenzeugen den Wunsch weckte, helfen zu können.
Ein weiteres Unglück ereignete sich am 10. September 1860 vor Borkum. Die englische Brigg „Alliance“ konnte dem tosenden Sturm, der zu der Zeit tobte, nicht mehr Stand halten und geriet auf Grund. Die verzweifelten Hilferufe der neun Besatzungsmitglieder, die am frühen Morgen auf die Insel schallten, blieben nicht ungehört. Aber zur Hilfe eilte niemand. Im Gegenteil, es heißt, die Insulaner warteten am Strand, bis die Rufe endgültig erloschen, um dann das Schiffswrack und die darauf befindlichen Güter zu „bergen“.
Doch dieses Mal gab es einen weiteren Zeugen. Ein Badegast zeigte sich empört über die Tatenlosigkeit der Inselbewohner und das völlige Fehlen von Einrichtungen zur Rettung Schiffbrüchiger und ging an die Presse. Der Artikel in der „Weser-Zeitung“ erzeugte große Aufmerksamkeit. Auch beim ehemaligen Steuermann und Navigationslehrer Adolph Bermpohl in Bremen Vegesack. Er veröffentlichte mehrere Artikel, die das bisher stillschweigend hingenommene Nichteingreifen bei Strandungen und Schiffsuntergängen anprangerten und forderte die Einrichtung von Rettungsstationen entlang der deutschen Küsten. Die Forderung von Adolph Bermpohl und seinen Mitstreitern nach einer privaten nationalen Rettungsgesellschaft zielte auf Freiwilligkeit und Solidarität. Vorbild waren die Rettungsstationen in den Niederlanden und Großbritannien. Allesamt getragen von engagierten Privatleuten und deren Spenden. Auch Bermpohl wendet sich an Bürger, Kaufleute und Reeder und nicht an den Staat. Der Gedanke dahinter: Wenn die Bevölkerung das Rettungswerk versteht, trägt und unterstützt, kann es erfolgreich sein. Es zählt die Solidarität der Vielen. So wurde er zum Initiator des deutschen Seenotrettungswesens.
Die Gründung der DGzRS
In Emden gründete schließlich 1861 Georg Breusing einen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger. 1865 vereinigten sich mehrere Einzelvereine zur Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die bis heute besteht. Zwischen 1865 und 1900 retten sie 2.792 Menschen. Und das mit bloßer Muskelkraft. Denn früher gingen die Männer noch in Ruderbooten auf „Rettungsmission“.
Das müssen sie heute nicht mehr. Aber eine wichtige Aufgabe übernehmen die meist ehrenamtlichen Retter und Retterinnen immer noch. Sie helfen in Seenot geratenen Schiffen und Wassersportlern und sie bringen auch mal eine werdende Mutter von einer Insel oder Hallig ins Krankenhaus, wenn es niemand anders mehr schafft. Die Flotte von 60 Seenotrettungskreuzern und -booten ist so positioniert, dass sie jeden Küstenpunkt entlang der Nord- und Ostseeküste binnen einer Stunde erreichen können. 180 Festangestellte und rund 800 Freiwillige tun auf den Rettungsstationen Dienst.
Über 80.000 Menschenleben haben sie so im Laufe der Jahre gerettet. Viele Seenotretter haben dabei ihr eigenes Leben verloren. Die Gesellschaft finanziert ihre Arbeit ausschließlich durch Spenden und freiwillige Zuwendungen. Öffentlich-staatliche Mittel werden nicht in Anspruch genommen.
Die Zentrale der Seenotretter befindet sich in Bremen und kann nach Anmeldung besichtigt werden. Auf dieser Webseite erfahren Sie mehr über die Arbeit der Seenotretter.
Auf der niederländischen Insel Texel lohnt ein Besuch des skurrilen Strandräubermuseums mit etlichen Strandfunden aus über 80 Jahren.
Headerbild: Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)